Rezension,  Sachbuch

Die Schande Europas – Jean Ziegler

Erstmals aufmerksam wurde ich auf „Die Schande Europas“ von Jean Ziegler durch Ludwig Lohmann. Mit Moria beschäftige ich mich schon etwas länger, doch manche Fakten, die Ludwig in seinem Podcast blauschwarzberlin erzählt hat, haben mich selbst überrascht, sodass ich dieses Buch ebenfalls lesen musste. Wie es oft so ist, schien es die ganze Zeit nicht der richtige Moment zum Lesen zu sein, doch mit dem Brand in Moria war weiteres Augen verschließen für mich nicht mehr möglich.


Titel: Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten
Autor: Jean Ziegler
Verlag: C. Bertelsmann
Seiten: 143
Preis: Hardcover (15€), E-Book (12,99€)


Zum Inhalt

Jean Ziegler hat als Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats im Mai 2019 das EU-Flüchtlingslager Moria auf Lesbos besucht. Anhand vieler, oft erschütternder Einzelfälle schildert er eingehend seine Begegnungen mit Flüchtlingen, die von ihrem Leidensweg berichten, mit den mutigen, engagierten Vertretern verschiedener Hilfsorganisationen (medico international, Pro Asyl u. a.) und Menschenrechtsaktivisten, mit Anwälten und Offiziellen. Sein Buch legt Zeugnis ab von dem moralischen Verfall, auf den Europa zusteuert, und ist ein eindringlicher Appell an die zuständigen Politiker in Brüssel und an die Zivilgesellschaft, der Praxis des »Push-Backs« und der unmenschlichen Realität der Hotspots ein Ende zu machen – denn sie sind die Schande Europas. 

Meine Meinung

Jean Ziegler war von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und von 2009 bis 2019 Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats – man sollte also davon ausgehen können, dass er weiß wovon er schreibt. Aufbauend auf seiner Vita könnte vermutet werden, dass Ziegler in „Die Schande Europas“ sein Augenmerk auf die politischen Bedingungen und Entscheidungen legt, doch vielmehr ist ein Gleichgewicht zwischen Erfahrungsberichten der Geflüchteten und den politischen Spannungen zu erkennen. Dabei beschreibt er politische Schandtaten, von denen ich so zum Teil zum ersten Mal gelesen habe. Besonders schockiert hat mich, dass mit den Geldern der EU eine mit Maschinengewehren bestückte Selbstschussanlage finanziert wurde. So schreibt Ziegler:

„Nähert sich ein Mensch der Mauer auf 300 Meter, vernimmt er zunächst in drei Sprachen und mehrfach wiederholt die Aufforderung, auf der Stelle kehrtzumachen. Geht er trotzdem weiter, wird er von dem Maschinengewehr getötet, dessen Feuer automatisch ausgelöst wird.“

S. 32

Gegen Ende des Buches versucht er die europäische Politik zu resümieren:

„Die Übeltäter in Brüssel lassen zu, dass sich in den Hotspots Überlebensbedingungen entwickeln, die an die Konzentrationslager unseligen Angedenkens erinnern, und hoffen so, die Flut der Flüchtlinge austrocknen zu können.“

S. 138

Besonders interessant finde ich hierbei, dass „Die Schande Europas“ erstmalig im Januar 2020 erschienen ist. Die Bedingungen, die Ziegler beschreibt, haben sich seit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung rapide verschlechtert. Die Auswirkungen, die der Brand für die Bewohner*innen der Camps ausgelöst hat, können wir uns als privilegierte Europäer*innen kaum vorstellen. Zumal die europäische Politik den Vorwurf Zieglers grade par excellence in der Realität umsetzt. „Die Schande Europas“ ein (leider) sehr treffender Titel.

Auch wenn „Die Schande Europas“ wachrütteln kann und gerade für Einsteiger einen guten Gesamtüberblick bietet, muss ich daran (leider) Kritik äußern. Ziegler benutzt zwar gelegentlich Quellenangaben, doch im Großen und Ganzen fehlen sie mir im gesamten Text. Viele Aussagen würden – besonders für Personen, die dieser Thematik kritisch gegenüberstehen – plausibler und glaubhafter wirken, wenn sie entsprechend mit Quellen belegt wären und ein Quellenverzeichnis dem Buch angehangen worden wäre. So wirkt es vielmehr wie ein persönlicher Erfahrungsbericht – auch wenn viele der genannten Probleme so oder so ähnlich von den gängigsten Nachrichten(portalen) thematisiert werden.
Dies soll allerdings nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass „Die Schande Europas“ nicht lesenswert wäre. Vielmehr möchte ich es euch ans Herz legen, denn auf 143 Seiten erhaltet ihr einen Überblick über die aktuelle Lage (vor dem Brand) in Moria – hinterfragen und ggf. selbst recherchieren kann (wie bei vielen anderen Themen) nicht schaden.


Falls ihr euch nicht komplett hilflos fühlen wollt – hier ein paar Organisationen, die ihr mit einer Spende unterstützen könnt:

Sea-Watch e.V.
#LeaveNoOneBehind


Eure Isa.

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