Belletristik,  Rezension

Kindheit – Tove Ditlevsen

Tove Ditlevsen ist in ihrem Heimatland Dänemark von der Liste des Literaturkanons nicht wegzudenken. Bei uns in Deutschland war sie bis vor kurzem nur wenigen ein Begriff. Dies wollte der Aufbau Verlag – in Zusammenarbeit mit Maria Christina Piwowarski – ändern. Ein kurzer Blick auf Instragram reicht schon, um zu erkennen, dass ihre Marketingstrategie vollkommen aufgegangen ist.


Kindheit
von Tove Ditlevsen
übersetzt von Ursel Allenstein
erschienen im Aufbau Verlag
Hardcover (18€) | E-Book (13,99€)
118 Seiten


Der Inhalt

In „Kindheit“ erzählt Tove Ditlevsen vom Aufwachsen im Kopenhagen der 1920er Jahre in einfachen Verhältnissen. Tove passt dort nicht hinein, ihre Kindheit scheint wie für ein anderes Mädchen gemacht. Die Mutter ist unnahbar, der Vater verliert seine Arbeit als Heizer. Sonntags muss Tove für die Familie Gebäck holen gehen, so viel, wie in ihre Tasche hineinpasst, und das ist alles, was es zu essen gibt. Zusammen mit ihrer Freundin, der wilden, rothaarigen Ruth, entdeckt Tove die Stadt. Sie zeigt ihr, wo die Prostituierten stehen, und geht mit ihr stehlen. Aber eigentlich interessiert sich Tove für die Welt der Bücher und hat den brennenden Wunsch, Schriftstellerin zu werden – und dafür ist sie bereit, das Leben, wie es für sie vorgezeichnet scheint, hinter sich zu lassen. 


Ein Klassiker neu entdecken

Welche Steine werden einem jungen Mädchen in den frühen Jahren des 20. Jahrhundert in den Weg geworfen? Welche typischen Ansichten vertritt die Gesellschaft und was passiert, wenn ein junges Mädchen andere Träume und Wünsche hat, als die Gesellschaft es von ihr verlangt? Wenn sie einfach nur schreiben möchte?
Diese Fragen beantwortet uns Tove Ditlevsen fragmentarisch anhand ihres eigenen Lebens. Gekonnt nutzt sie dabei die Erzählperspektive des unzuverlässigen Erzählers, sodass für uns als Leser*innen nicht immer zu 100% deutlich wird, was nun wirklich in ihrem Leben geschehen ist und was vielmehr eine Abwandlung zu sein scheint. Unabhängig von der entsprechenden Erzählweise kann jedoch festgehalten werden, dass die damalige Frauenrolle Tove Ditlevsens Leben komplizierter gemacht hat, als es hätte sein müssen. Aber nicht nur der Roman an für sich nimmt diese Thematik auf, sondern auch die Übersetzerin Ursel Allenstein thematisiert innerhalb des Nachwortes die Probleme der damaligen Zeit und welche Auswirkungen sie auf den weiteren Werdegang Ditlevens haben. Zwar gibt sie damit einen Ausblick auf den weiteren Verlauf der Trilogie, doch statt davon abgeschreckt oder gar gelangweilt zu sein, freue ich mich vielmehr auf die weiteren Bände. Anhand des Nachwortes werden viele Aspekte des Buches noch einmal deutlicher herausgearbeitet und die Relevanz für das weitere Leben Ditlevens hervorgehoben – für mich ein sehr gelungenes Nachwort, dass definitiv nicht hätte fehlen dürfen.

Aber nicht nur ihr Leben nimmt einen als Leser*in ein, sondern auch die Art wie sie schreibt. Ihr Schreibstil strotzt von einer literarischen Raffinesse – von sprachlich wundervoll ausgearbeiteten Sätzen, die man sich unbedingt markieren möchte. 

Kleine Kostprobe gefällig?

„Die Kindheit ist lang und schmal wie ein Sarg, aus dem man sich nicht alleine befreien kann.“

S. 31

„Ich weiß, dass man manchmal lügen muss, um die Wahrheit zum Vorschein zu bringen.

S. 68

Ja, rund um Tove Ditlevsen herrscht grade eine Hype, aber wie ich finde, völlig zurecht. Ich hoffe sehr, dass ihr euch von diesem Hype nicht abschrecken lasst und Tove Ditlevsen überdrüssig werdet. Ihre Lebensgeschichte sollten von vielen Menschen gelesen werden – umso schöner ist es, dass der Aufbau Verlag weitere Bücher von ihr neu übersetzen und verlegen möchte. Ich denke, da kommt noch einiges an guter Literatur auf uns zu – und vielleicht, schafft Tove Ditlevsen es ja auch mal bei uns in Uniseminare oder an Schulen, um mal etwas anders als Goethe, Schiller und Mann zu lesen. Damit diese Welt, die Ursel Allstein in ihrem Nachwort beschreibt, nicht mehr stattfinden kann: „[…] und seine überwiegend männlichen Vertreter hielten ihre Gedichte für altmodisch, ihr autobiographische Subjektivität als narzisstisch und ihre – allzu weiblichen – Themen für banal.“ (S. 119)
Ich für meinen Teil konnte mich in „Kindheit“ wiederfinden und freue mich sehr auf die folgenden Bände. 

Eure Isa

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